Geheimdienste, Gladisten, Neofaschisten

von Reinhard Olt

Nach der „Feuernacht“ tauchten in Südtirol dubiose Personen auf, welche sich in das Vertrauen von Südtirolern schlichen und diese dann bei den Carabinieri denunzierten. Auf solche Weise gerieten auch völlig Unbeteiligte in Haft und unter schwere Folter.

Anfang August 1961 erschien im Sarntal der ehemalige SS-Oberscharführer Robert Henckelmann, gegen den in Deutschland wegen Erschießung von Fremdarbeitern im Jahre 1944 ermittelt wurde. Er hatte in Italien Zuflucht gefunden und war unter dem Decknamen „Franco Spinelli“ in Südtirol für den italienischen Geheimdienst tätig. Er forderte Bauern auf, sich für einen „Aufstand“ zur Verfügung zu stellen. Dann verschwand er, die Carabinieri erschienen und verhafteten 22 Personen. Der völlig unschuldige „Agraterbauer“ Johann Thaler verblieb nahezu drei Jahre in Haft und wurde erst in zweiter Instanz freigesprochen. Er und seine drei Söhne waren nach der Verhaftung schwer gefoltert worden.

Eine ähnliche Rolle spielte der aus Augsburg stammende Anton Stötter, der sowohl eine kriminelle, als auch eine NS-Agentenvergangenheit aufwies. Er sammelte im Auftrag des italienischen Geheimdienstes SIFAR in Tramin und Umgebung Namen patriotischer Südtiroler, von denen die meisten gar nichts mit dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) zu tun hatten. Die Verhafteten wurden schwer misshandelt.

 

Getarnter Auftragsmord

Von der Begehung provokatorischer Anschläge war es nicht weit bis zum Mord, der nächsten Eskalationsstufe. Christoph Franceschini legte offen, dass der aus Österreich gedungene italienische Agent Christian Kerbler am 7. September 1964 den Auftragsmord an Luis Amplatz mit einer ihm eigens zur Verfügung gestellten Carabinieri-Dienstwaffe begangen hatte. Es hätte später ein Schusswechsel zwischen den Carabinieri und den „Südtirol-Terroristen“ Amplatz und Georg („Jörg“) Klotz vorgetäuscht werden sollen, bei dem die beiden Südtiroler umgekommen wären. Die Tarnungslegende scheiterte daran, dass Klotz, das vorgesehene zweite Mordopfer, schwer verwundet entkommen und nach Österreich fliehen konnte.

 

Eine Bombe im Brenner-Express

Am 15. November 1964 erhielten die italienischen Behörden einen Hinweis, dass sich im Brenner-Express im Gepäckwagen eine Bombe befinde. Der Zug wurde in Brixen auf ein Nebengeleis umgeleitet, wo der abgekoppelte Waggon kurze Zeit später explodierte. In Österreich verhaftete die Polizei den deutschen Karl Franz Joosten, der sich als Südtirolfreund ausgegeben und bei der Familie Felder in Absam, Quartiergeber des Südtiroler Freiheitskämpfers Georg Klotz, eingemietet hatte. Georg Klotz hatte sich vorübergehend in Polizeigewahrsam befunden und Joosten hatte die Gelegenheit genutzt, einen Klotz gehörigen und mit dessen Namen beschrifteten Koffer mit Sprengstoff zu füllen und mit einem Zeitzünder zu versehen. Dann hatte er den Koffer in Innsbruck mit dem Brenner-Express nach Italien aufgegeben.

Joosten wurde für diese Tat 1965 von einem österreichischen Gericht zu 18 Monaten Haft verurteilt. Wie italienische parlamentarische Untersuchungsberichte der Abgeordneten Boato und Bertoldi später enthüllten, hatte Joosten die Tat im direkten Auftrag des obersten Polizeichefs Südtirols, des Quästors Alitto Bonanno, begangen, um in der Öffentlichkeit Abscheu und Empörung gegen die Aktivisten des BAS hervorzurufen. Diese sollten als völlig skrupellose Mörder dargestellt werden.

 

Provokative „Bombe“ in italienischem Wohnhaus

Um in der Öffentlichkeit Empörung gegen die Südtirolaktivisten hervorzurufen, deponierte der italienische Agent Robert Kranzer aus Klobenstein in einem italienischen Wohnhaus einen nicht funktionstüchtigen Sprengsatz, der dann am 20. Mai 1965 im Beisein der italienischen Presse von den Carabineri aufgefunden wurde. Das Spektakel diente dazu, die Südtiroler Freiheitskämpfer als Mörder hinzustellen.

 

Der Vorfall auf der Porzescharte

All das waren „Scharmützel“ im Vergleich zum angeblichen „Anschlag auf der Porzescharte“, der das österreichisch-italienische Verhältnis dem Gefrierpunkt nahe brachte. Auf der Porzescharte sollen – den offiziellen italienischen Darstellungen zufolge, welche Österreich hasenfüßig übernahm – am 25. Juni 1967 vier italienische Soldaten durch Sprengfallen zu Tode gekommen sein. Der Tat bezichtigt wurde der im Zusammenhang mit früheren BAS-Aktionen einschlägig bekannte Peter Kienesberger, der zusammen mit dem Arzt Dr. Erhard Hartung und dem Soldaten des österreichischen Bundesheeres Egon Kufner in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1967 in der Nähe des Tatorts gesehen worden war. In einem gegen sie und andere geführten Prozess in Florenz wurden Kienesberger und Hartung zu lebenslänglicher, Kufner zu 24 Jahren Haft verurteilt. Die Urteile ergingen in Abwesenheit der Angeklagten und fußten auf Gesetzen aus der Zeit des italienischen Faschismus. Sie sind nach wie vor in Kraft.

Die drei wurden hingegen in Österreich am 18. Mai 1971 freigesprochen. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft eine Wiederaufnahme bewirkt, das Verfahren wurde aber auf Anregung des seinerzeitigen Justizministers Christian Broda (SPÖ) vom damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger nach erfolgtem Freispruch aboliert und folglich im Mai 1975 eingestellt. Der zuvor ergangene Freispruch war – wider alle staatsanwaltschaftlichen Bemühungen, mittels Schuldnachweis die Täter zu überführen – letztlich auf das durch Gutachten untermauerte Hauptargument der Verteidigung zurückzuführen, wonach der Anschlag im vorgegebenen Zeitrahmen nicht habe durchgeführt werden können − wozu sie ein Weg-Zeit-Diagramm ins Feld geführt hatte, mit dem sie die Geschworenen mehrheitlich für ein „in dubio pro reo“ gewinnen konnte.

 

Passgenau zur Strategie der Spannung

Hubert Speckner hat nach jahrelanger Forschungsarbeit auf der Grundlage sämtlicher österreichischer sicherheitspolizeilicher, justitieller und geheimer, jedenfalls bis dato uneingesehener Akten nachgewiesen, dass das „Porze-Attentat“ keines gewesen sein konnte. Und: Es passte – wie andere dubiose Fälle, die alle dem BAS in die Schuhe geschoben worden sind – im Rahmen der gesamten Südtirol-Problematik nur allzu gut in die „Strategie der Spannung“.

Mit der „strategia della tensione“ trachteten verschwörerische Kreise – organisiert in geheim(bündlerisch)en Vereinigungen neofaschistischen Zuschnitts wie „Ordine nuovo“ oder “Avanguardia Nazionale“, aber auch verankert in Teilen der Geheimdienste SIFAR, SID und SISMI sowie des geheimen „Gladio“-Netzwerks des Militärs – danach, die gesellschaftliche Unterfütterung für einen (letztlich gottlob erfolglos gebliebenen) Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime zu bereiten.

Für verdeckt arbeitende Nachrichten- und Sicherheitsdienste gehören das Tarnen und Täuschen sozusagen zum Handwerkszeug. Sie bewegen sich in Grauzonen und überschreiten dabei, gedeckt vom vorgeblichen „Interesse des Staates“ wie die italienischen Folterer in Südtirol, die ihren Opfern gegenüber unverblümt auf „carta bianca“ und „mani libere“ − mithin volle Deckung von oben − verwiesen, die sie (vom damaligen Innenminister Mario Scelba) hatten, jedwede rechtliche Schranken, an denen es im demokratischen Italien keineswegs fehlte. Den Diensten geht es um Schutz falscher Identitäten, um Täuschung über wahre Zielsetzungen, um Konspiration, Provokation und zuvörderst um das Vortäuschen falscher Tatsachen, um das Legendieren von Taten.

So konnte es gar nicht ausbleiben, dass es zu mancherlei Attentat(sversuch)en sozusagen „unter falscher Flagge“ kommen musste, zu Aktionen, bei denen die Akteure in der Absicht, bestimmte Ziele zu verfolgen und zu erreichen, skrupellos und ohne Rücksicht auf Verluste vorgingen. War es zum einen das Ziel italienischer Dienste, mittels fingierter Anschläge die Südtiroler Freiheitskämpfer zu diskreditieren und – nicht ohne Wissen und Zustimmung, ja sogar auf Geheiß politischer Verantwortungsträger – damit politisch Druck auf Österreich auszuüben, so hatten darein involvierte oder gar Regie führende Leute des Gladio-Netzwerks als Teil der geheimen italienischen „Stay behind“-Einheiten ein zusätzliches Interesse, damit die Spannungsmomente zu erhöhen, ein Bedrohungsbild zu erzeugen und die Südtirol-Aktionen im Sinne ihrer Umsturzpläne zu instrumentalisieren. Es gab daher im Rahmen der „Strategie der Spannung“ durchaus nicht wenige „getürkte“ Attentat(sversuch)e.

 

Exkurs zu „Gladio“

„Gladio” (ital., von lat. gladius „Schwert“) war Teil der paramilitärischen „Stay-behind“-Geheimorganisation der NATO, der CIA und des britischen MI6 während des Kalten Krieges. Die Gladio-Mitglieder sollten nach einer sowjetischen Invasion Westeuropas Guerillaoperationen und Sabotage durchführen. Die Organisation existierte von etwa 1950 bis mindestens 1990 (in Westeuropa, in Griechenland und in der Türkei).

„Gladio“ war ursprünglich nur der Deckname des italienischen Zweigs dieses europäischen Stay-Behind-Netzwerks. Der Begriff entwickelte sich jedoch nach der Aufdeckung 1990 zu einer Sammelbezeichnung für das gesamte Netzwerk bzw. alle nationalen Teilorganisationen (je nach Land unterschiedliche Decknamen) und von den jeweiligen nationalen Geheimdiensten geführt wurden. Die NATO lehnte nach der Aufdeckung der Organisation jegliche Stellungnahme ab und verwies darauf, dass man sich grundsätzlich nicht zu „geheimen militärischen Angelegenheiten“ äußern würde.

Das Gladio-Abzeichen

Der Historiker Daniele Ganser schrieb über die Hintergründe der Strategie: „Die Stay-behind-Armeen [Anm.: das Gladio-Netzwerk] waren dem Volk, dem Parlament und den meisten Regierungsmitgliedern unbekannt und bildeten in ganz Westeuropa ein unsichtbares, koordiniertes, geheimes Sicherheitsnetz. In einigen Ländern, aber nicht in allen, mutierten die Sicherheitsnetze jedoch auch zu Terrorzellen. […] Washington, London und der italienische militärische Geheimdienst befürchteten, dass der Einzug der Kommunisten in die [italienische] Regierung die NATO von innen heraus schwächen könnte. Um dies zu verhindern, wurde das Volk manipuliert: Rechtsextreme Terroristen führten Anschläge aus, diese wurden durch gefälschte Spuren dem politischen Gegner angelastet, worauf das Volk selber nach mehr Polizei, weniger Freiheitsrechten und mehr Überwachung durch die Nachrichtendienste verlangte.“

 

Neofaschistische italienische Zellen

Eines der aufsehenerregendsten Attentate der Zweiten Republik ereignete sich 23. September 1963 in Ebensee. Dort zerstörte eine erste Bombe kurz nach sechs Uhr früh das „Steinerne-Löwen-Denkmal“ an der Traunsee-Uferstraße. Wenig später entdeckte der Kabinenführer der Feuerkogel-Seilbahn eine weitere Bombe auf dem Dach einer mit Schülern besetzten Gondel, die gottlob rechtzeitig entschärft werden konnte. Eine dritte Ladung, die an einem Behälter der Ebenseer Saline plaziert war, explodierte jedoch beim Versuch, sie zu entschärfen. Dabei wurden ein Beamter des Landesgendarmeriekommandos Linz getötet und acht Gendarmen, ein Staatsanwalt, ein Richter sowie die Schriftführerin des Bezirksgerichts Gmunden verletzt. Eine vierte und eine fünfte Bombe explodierten nicht. Alle Spuren wiesen nach Italien: Der NATO-übliche Sprengstoff war ebenso italienischer Herkunft wie die als Zeitzünder verwendeten Uhren. Dasselbe Fabrikat war am 1. Oktober 1961 beim Anschlag auf das Andreas-Hofer-Denkmal am Bergisel in Innsbruck verwendet worden, der wohl als erster Wink mit dem Zaunpfahl von italienischer Seite dafür interpretiert werden konnte, dass Anschläge nicht unbedingt auf Südtirol beschränkt bleiben mussten. Zeugen erinnerten sich an einen Fiat mit Veroneser Kennzeichen, und an den Tatorten wurden Ausweise der neofaschistischen Studentenverbindung „Associazione Studentesca di Azione Nazionale“ (A.S.A.N ) gefunden, die mit „I carabinieri non si toccano“ („Hände weg von den Carabinieri“) abgestempelt waren.

Wie sich später herausstellen sollte, trug auch der versuchte Anschlag auf das auf dem Schwarzenberg-Platz in Wien befindliche „Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee, die für die Befreiung Österreichs vom Faschismus gefallen sind“ dieselbe italienische Handschrift. Auf der Rückseite des Sockels des „Russendenkmals“, wie es der Volksmund nennt, war um die Mittagszeit des 18. August 1962 in vier, fünf Metern Höhe eine Tasche jener Art entdeckt worden, wie sie auch heute wieder modern ist: aus blauem Leinen; die Nahtkanten mit weißem Plastik eingesäumt; zu tragen an einem weißen Lederriemen mit Karabinerhaken an den Enden. Neben anderen hohen Beamten eilte Oberst Alois Massak, Sprengstoffsachverständiger der Polizeidirektion Wien, der später beim Vorfall auf der Porzescharte eine besondere Rolle spielen sollte, zum Tatort, inspizierte die Tasche und gelangte zur Überzeugung, dass es sich um eine „Höllenmaschine“ handelte. Massak gelang es, die Drähte durchzuschneiden, die einen Wecker mit der Zündvorrichtung verbanden. Der Zeitzünder war an insgesamt etwa fünf Kilogramm TNT angeschlossen. Das Arrangement wäre etwa gegen 17 Uhr zur Explosion gekommen. Die Untersuchung ergab Parallelen zur Sprengung des Andreas-Hofer-Denkmals am Bergisel im Jahr zuvor, bei der ein gleichartiger Zeitzünder verwendet worden war, sowie zu einem Sprengstoff-Fund in Osttirol im Juni 1962. In der Tasche befand sich ein Prospekt mit der Aufschrift „Campingplätze und Jugendherbergen in Wien“, und neben dem Denkmal fand sich das offensichtlich hinterlegte „Markenzeichen“ der Täter: ein Paket von 29 Blanko-Mitgliedsausweisen der neofaschistischen Studentenorganisation A.S.A.N.

Fast dreißig Jahre später tauchte ein konkreter Hinweis darauf auf, dass auch der italienische Geheimdienst seine Finger bei den Bomben von Ebensee im Spiel gehabt haben dürfte. Im Sommer 1991 fand die Polizei bei Giancarlo Masiero, einem militanten Anhänger der italienischen neofaschistischen Partei “Movimento Sociale Italiano” (MSI) ein teils handgeschriebenes, teils getipptes „Memoriale“, das zahlreiche Hinweise auf die Tätigkeit von Geheimdiensten in Südtirol unter Mitwirkung des MSI enthält. So seien etwa die Attentate auf die Wohnhäuser des MSI-Politikers Andrea Mitolo und des örtlichen Vorsitzenden der “Democrazia Cristiana” (DC) im Januar 1987 aus wahltaktischen Gründen vom MSI selbst durchgeführt worden; Auftraggeber sei Parteichef Gianfranco Fini persönlich gewesen. Bei den Parlamentswahlen im Juni 1987 konnte der MSI dann tatsächlich seine Stimmen mehr als verdreifachen. Der grüne Landtagsabgeordnete Alexander Langer hatte bereits damals gegenüber dem Magazin „profil“ (1985, Heft 25) Geheimdienste hinter den Anschlägen vermutet. Zwar stellte die Bozner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Masiero wieder ein, der in den Einvernahmen beteuert hatte, manches aus Zeitungen abgeschrieben, anderes erfunden gehabt zu haben.

 

Das „Memoriale Masiero“

Doch daran waren begründete Zweifel angebracht, denn das „Memoriale Masiero“ enthielt „eine Fülle historisch begründeter Fakten und nicht unbedingt allgemein bekannter Hinweise“. So erwähnte Masiero insbesondere das „Ufficio R“ (Büro R) des italienischen Geheimdienstes “Servizio Informazioni Forze Armate “ (SIFAR), von dem aus Gladio geleitet wurde. Das Büro habe in Befürchtung eines „Aufstands nach Art Hofers“ zahlreiche Begegnungen zwischen Andrea Mitolo und einem Armeegeneral vermittelt. Das „Ufficio R“ war erst 1991 im Zuge der Aufdeckung von Gladio öffentlich bekannt geworden. Masiero hatte sein „Memoriale” aber bereits im August 1990 verfasst und berichtet darin von Einzelheiten der Aktivitäten des „Ufficio R“ in Südtirol: so von einem „Waffenlager in den Gängen unterhalb von Schloss Sigmundskron“, das nach dem Verschwinden von Waffen und Sprengstoff verlegt wurde; sodann von Waffen- und Sprengstoffausbildung in den Sarntaler Alpen durch Fallschirmspringer, aus denen sich die meisten Südtiroler Gladiatoren rekrutierten. Diese waren in einer Liste mit 535 Namen damals noch lebender Gladiatoren enthalten, über welche die Rundfunkanstalt RAI am 6. Januar 1991 berichtete und die vollständig in „La notte dei gladiatori, omissioni e silenzi della Repubblica“ (Calusca Edizioni“, Padua 1991/92) veröffentlicht wurde.

Im „Memoriale Masiero“ fand sich unter der Überschrift „Aktivitäten der Gruppe 1961/1968 – Attentate“ auch der kryptische Eintrag „Unterkunft für Aktion Österreich (Fall Poltroneri), Aufstiegsanlagen, Sprengstoff und Basis in Innsbruck, Wohnung von bekannten Lieferanten von Sanitätsartikeln (Conti Veneziani).“ Aufgrund des Namens konnte es sich nur um den Ebenseer Anschlag gehandelt haben: Sergio Poltronieri war einer der fünf Attentäter. Die „Aufstiegsanlagen“ bezogen sich höchstwahrscheinlich auf die an der Feuerkogelbahn-Gondel angebrachte Bombe. Aus Masieros Angaben folgt damit wohl zwingend, dass die von Rechtsextremisten begangenen Ebensee-Attentate sowie der Innsbrucker Hofer-Denkmal-Anschlag von in Südtirol wirkenden „Gladiatoren“ logistisch unterstützt wurden und die eigentlichen Hintermänner vom „Ufficio R“ des SIFAR aus die Fäden gezogen hatten. „Zusammenhänge mit staatlichen und halbstaatlichen Interessen, realisiert von Gladio‛ und italienischem Geheimdienst als Drahtzieher von Terror bzw. Gegenterror sind schwer von der Hand zu weisen“, stellte Staatsarchivar Rudolf Jeřábek in der vom Bundesministerium des Innern (BMI) herausgegebenen Zeitschrift „Öffentliche Sicherheit“ (Heft 1−2, 2006, S. 42) lapidar fest. Die Tageszeitung „Corriere della Sera“ gab sich später gewiss, dass die Taten von General Giovanni De Lorenzo persönlich befohlen worden seien, um Österreich(er) davon abzuhalten, in Südtirol einzugreifen.

 

„Servizi segreti e il segreto di stato“

De Lorenzo befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner Macht: Er kommandierte die Carabinieri und den militärischen Geheimdienst SIFAR gleichermaßen. Schon im April 1962 hatte De Lorenzo Oberst Manlio Capriata, den damaligen kurzzeitigen Leiter des „Ufficio R“ zu sich gerufen und ihm mitgeteilt, er habe die Südtiroler Gladio-Mitglieder mobilisiert, da sich die dortigen Antiterrormaßnahmen als unzureichend erwiesen hätten, wobei er die Gefahr einer „Algerisierung des Alto Adige“ an die Wand malte: „Mi disse che avrebbe attivato gli elementi dell’Alto Adige facendo riferimento ai guastatori gestiti dal Centro e residenti in Alto Adige. Furono attivati in Alto Adige i guastatori addestrati ad Alghero. “

Dass diese Gruppierungen in den Südtiroler Bombenjahren oft die Hand im Spiel hatten, dafür sprachen auch Recherchen eines gänzlich unverdächtigen Italieners mit hoher Reputation und die Ergebnisse einer parlamentarischen Untersuchung in Rom. Doch weder trugen diese Bemühungen seinerzeit zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens in Florenz bei, wo die österreichischen Angeklagten am 1. Dezember 1971 – in Abwesenheit und unter Berufung auf noch von Mussolini unterzeichneten faschistischen Gesetzen – verurteilt worden waren, noch bewirkten sie eine spätere Haltungsänderung Italiens in der historisch-politischen Betrachtung/Bewertung der Südtiroler Bombenjahre. Für Peppino Zangrando, den Präsidenten der Belluneser Anwaltskammer, war die Causa Porzescharte, in der er jahrelang recherchierte, keineswegs klar. Seinen Erkenntnissen zufolge konnten just italienische Geheimdienstler und/oder Mitglieder genannter Verschwörungsgruppierungen den Anschlag verübt haben. An ein Attentat des BAS – also Kienesbergers, Hartungs und Kufners – glaubte er nicht. Auch das „Bekennerschreiben“ des BAS, welches das österreichische Kommissionsmitglied Ing. Massak auf der Porzescharte finden sollte, klinge, als ob es jemand geschrieben habe, der die deutsche Sprache nicht sehr gut beherrschte, bemerkte Zangrando. 1994 wollte er den Fall neu aufrollen, scheiterte aber mit seinem Wiederaufnahmeantrag an der Staatsanwaltschaft.

Schließlich deckte der venezianische Untersuchungsrichter Felice Casson – er war es, der „Gladio“ entdeckte und 622 Gladio-Mitglieder aufspürte – aufgrund seiner Recherchen in den Archiven des Militär-Abschirmdienstes “Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare” (SISMI) 1990 die Existenz einer „geheimen komplexen Struktur innerhalb des italienischen Staates auf“. Er fand heraus, dass sowohl Mitarbeiter des SISMI respektive der Vorgängerorganisation “Servizio Informazioni Difesa” (SID), der 1964 auf den aufgelösten SIFAR folgte, neofaschistische Organisationen wie „Avanguardia Nazionale“ und „Ordine Nuovo“, als auch Teile des Gladio-Netzwerks, die u.a. in Gruppierungen wie “Associazione Protezione Italiani” (API) und “Movimento Italiani Alto Adige” (MIA) wirkten und zu denen auch der namhafte Meraner Folterknecht Carabinieri-Hauptmann Marzollo gehörte, von den 1960ern bis in die 1980er Jahre „zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen“ hatten. (Noch in den 1970er Jahren verübten API- und MIA-Leute Anschläge, so auf das Haus von Landeshauptmann Silvius Magnago, das Andreas-Hofer-Denkmal in Meran und auf einige Hotels.) Cassons Befunde, später publiziert in „Servizi segreti e il segreto di stato” („Geheimdienste und Staatssicherheit”, 1992), hatten schließlich dazu geführt, dass sich eine Untersuchungskommission des italienischen Parlaments mit dem Komplex „Terrorismus in Italien“ und also auch mit den Vorgängen rund um die Südtiroler Bombenjahre befasste. Sie gelangte 1991 immerhin zu dem Schluss, dass „die Geheimdienste des Landes Aktivitäten des BAS durchdrungen hatten“. (Dargelegt in: Commissione Parlamentare d’Inchiesta sul Terrorismo in Italia e sulle Cause della Mancata individuazione dei Responsabili delle Stragi, 1991, Dok. XXII, n. 52)

Cassons Enthüllungen führten zu einer Staatskrise in Italien. Der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti gab im Rahmen einer nachfolgenden parlamentarischen Untersuchung an, dass Gladio auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern existiere, was einen europaweiten politischen Skandal auslöste. Dies führte zu parlamentarischen Anfragen in mehreren Ländern. In Italien, Belgien und der Schweiz kam es zu Untersuchungskommissionen. Die Untersuchungskommission Terrorismus und Massaker (1994−2000) des italienischen Senats stellte zusammenfassend fest: „Diese Massaker wurden organisiert oder unterstützt von Personen in Institutionen des italienischen Staates und von Männern, die mit dem amerikanischen Geheimdienst in Verbindung standen.“ Das Europaparlament drückte nach einer Debatte am 22. November 1990 seinen scharfen Protest gegenüber der NATO und den beteiligten Geheimdiensten aus.

 

DDR-StaSi und Südtirol

Auch die DDR verfügte über Stay-behind-Truppen. In der DDR hieß das natürlich nicht Stay-behind, sondern „Partisanenaufbau“. Verantwortlich dafür – mit dem internen Verwaltungsnamen „Abteilung zur besonderen Verwendung“ (AzbV) – war ab 1955 innerhalb der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) Markus Wolf. Dann ging diese Abteilung wie im Westen auch in der DDR Anfang/Mitte der 60er Jahre von der Zuständigkeit des Militärs auf den Geheimdienst über. Später bekam sie den nicht weniger harmlosen Namen „Arbeitsgruppen des Ministers/Sonderaufgaben“ (AGM/S) mit drei Stützpunkten in der DDR-Provinz und wurde schließlich kurz vor dem Mauerfall 1989 in die zur Hauptabteilung aufsteigende Abteilung XXII „Terrorabwehr“ integriert. Aufgabe der AGM/S war unter anderem das Ausführen von Sprengstoffanschlägen – vornehmlich in der Bundesrepublik, aber eben nicht nur dort. Für den Einsatz im Untergrundkampf hatte die „Staatssicherheit“ (StaSi), die letztlich über diese Abteilung gebot und deren oberster Chef der häufig inkognito in Wien auftauchende Markus Wolf war, 3.500 Einzelkämpfer ausgebildet.

Markus Wolf (1989). Bild: Bundesarchiv[1] (Bild 183-1989-1208-420), Foto: Elke Schöps, Lizenz: CC-BY-SA 3.0[2]

Inwieweit die DDR-StaSi in Südtirol die Finger im Spiel hatte, ist bislang gänzlich unerforscht. Im Rahmen meines Arbeitsprojekts „Die Stasi und der Südtirol-Konflikt“ kann ich nach Inaugenscheinnahme diverser Aktenkonvolute aus dem umfänglichen Bestand des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ (BStU) in Berlin vorläufig die folgenden Feststellungen treffen:

Das „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS) der DDR verstand sich als „Schwert und Schild der Partei“ und somit als Organ der totalitären Staatspartei „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) und fungierte als deren staatsdoktrinärer „Antifaschismus“ (Antifa). Es interessierte sich im Zusammenhang mit dem Südtirol-Konflikt primär dafür, über ihre angeworbenen und von Stasi-Offizieren geführten Informanten − „Gesellschaftliche Mitarbeiter“ (GM), „Inoffizielle Mitarbeiter“ (IM) und direkt beim MfS festangestellte Agenten − einen „Einfluss westdeutscher revanchistischer Kräfte“ (oft ist die Rede von den „Bonner Ultras“; worunter Minister, Ministerialbeamte, die höhere Justiz, Politiker der führenden Parteien CDU, CSU, SPD, FDP verstanden wurden) auf das Geschehen zwischen Wien-Innsbruck-Bozen und Rom „nachweisen“ und der Weltöffentlichkeit „vorführen“ zu können. In nämlichem Sinne gehen entsprechende Vorgaben beispielsweise aus Anweisungen des Politbüro- (1958−1981) und DDR-Staatsratsmitglieds (1976−1981) Albert Norden nach der „Feuernacht“ 1961 und der darauf und auf weiteren Anschlägen des BAS gründenden Prozesse in Mailand gegen die inhaftierten BAS-Mitglieder hervor. Im Politbüro war der einstige Journalist Albert Norden für Agitation verantwortlich und leitete eine Kommission zur „Aufarbeitung der Kriegs- und Naziverbrechen“. Im Zusammenhang damit, westdeutsche Politiker mittels tatsächlich nachgewiesener oder nur konstruierter „Verstrickung in das NS-Regime“ zu diskreditieren, ist auch das Bestreben zu sehen, eine angeblich von Bonn und München aus gelenkte pangermanistische Verschwörung gegen Rom glaubhaft erscheinen zu lassen, um das Verhältnis der beiden NATO- und EWG-Mitgliedstaaten wenn nicht zu unterminieren, so doch zu stören.

Zur Untermauerung diente das Konstrukt eines angeblichen Zusammenwirkens „alt“- und „neo“-nazistischer Kräfte [im DDR-Jargon ist „nazistisch“ gleichrangig mit „faschistisch“] aus Westdeutschland, Österreich und (Süd-)Tirol mit Operationsgebiet Südtirol (als eigentlichem Konfliktherd) und ganz Norditalien. Die Rekrutierung und der Einsatz von dafür geeigneten Stasi-Leuten sowie von auf Alt- und Neonazis sowie auf Mitglieder rechtsextremer Parteien angesetzten GM und/oder IM dienten vornehmlich der Informationsgewinnung sowie der Planung und Ausführung von Diskreditierungs- und Desinformationsmaßnahmen bzw. -kampagnen (Stichwort Pangermanismus/Pangermanismo u. dgl.). Zu den rechtsextremen Parteien in Westdeutschland zählten beispielsweise die „Deutsche Reichspartei“ (DRP; 1950−1965) unter Adolf von Thadden, danach die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD); in Österreich etwa die von Norbert Burger gegründete „Nationaldemokratischen Partei“ (NDP). Es bedarf eigentlich kaum der Erwähnung, dass sich im Rahmen dieses Interessengeflechts auch und gerade Doppel- sowie Dreifachagenten tummelten.