Kassiber von Sepp Mitterhofer, geschrieben im Gefängnis in Trient.

Auf Toilettenpapier beschrieb Mitterhofer, wie er vom Staatsanwalt Castellano unter Druck gesetzt wurde, und schilderte die Misshandlungen bei den Verhören.

Den Kassiber konnte Sepp Mitterhofer bei der Entlassung selbst aus dem Gefängnis schmuggeln.

„Am 20. Jänner 1962 wurde ich vom Staatsanwalt Castellano wegen der Mißhandlungsanzeige in Bozen verhört u. von einem Arzt oberflächlich untersucht. Ich musste Anschuldigungen nocheinmal zu Protokoll geben. Auf seine Frage warum ich die Anzeige so spät gemacht habe antwortete ich ihm weil ich nicht wußte daß es einen Termin gibt u. weil ich in der ersten Zeit[?] nach meiner Einlieferung in das Gefängnis noch von den Misshandlungen keinen klaren Gedankens fähig u. ganz deprimiert war.

Merkmale hatte ich außer den kahlen Stellen am Kopf wo sie mir die Haare ausgerissen hatten, keine mehr. Der Arzt erklärte, er könne es nach 6 Monaten nicht mehr genau feststellen, aber es ist möglich daß mir durch starkes ziehen Haare ausgerissen worden sind.

Ungefähr am 22. Februar 1962 wurde ich in Vicenza wieder von einem Präsidenten Debacis[?] wegen der Misshandlungen verhört.

Ich mußte wieder die Einzelheiten der Mißhandlungen angeben, weiters daß mich 5 Karabinieri in Zivil geschlagen haben, von denen ich 2 namentlich (Potzer u. Schgör)[?] angeben konnte. Weiters gab ich an daß ich Gruber Walter u. Innerhofer Josef gesehen habe wie sie mit geschwollenem Gesicht von einem Zimmer herauskamen wo ich sie vorher schreiben hörte u. wie auch ich geschlagen wurde. Pichler Paul sah ich wie er vor Ermattung zusammenbrach. Als ich ins Gefängnis eingeliefert worden bin, wurde ich von keinem Arzt untersucht. Selbst habe ich mich nicht gemeldet, weil ich von anderen Häftlingen hörte, daß sie hinausgeschmissen wurden als sie vor dem Arzt erklärten, daß sie misshandelt worden sind. Nach dem Tode Höflers meldete ich mich zum Arzt weil ich noch immer im linken Auge ein leichtes Blitzen merkte das von einem Schlag der Karabinieri herrührte.

Der Arzt sagte er sehe schon eine kleine Wunde, kann aber nicht sagen von was es gekommen ist u. ich glaube er schrieb nichts auf. Dann mußte ich die zwei beschuldigten Karabinieri beschreiben. Das wurde alles protokolliert. Dann wurde ich von einem Hautspezialist u. Augenspezialist aus Vicenza untersucht. Das Ergebnis ist mir nicht bekannt. Der Hautspezialist sagte ich habe eine Haarkrankheit. Ich gab auch zu daß ich vor meiner Verhaftung kleine haarlose Stellen hatte, die durch das starke Ziehen der Karabinieri an meinen Haaren, ziemlich größer wurden da sie mir viele ausrissen. Vor die Ärzte kamen gab ich zu Protokoll, daß ich keinen Augenspezialist verlange da ich nur mehr wenig spüre. Er kam aber trotzdem u. fand anscheinend nichts.

Am 13. April 62 kam ich nach Bozen u. wurde 2 Karabinieri die mich geschlagen hatten (Schgör u. Potzer)[?] gegenübergestellt.

Als erster war Schgör[?], ich mußte angeben was er mir getan hatte.

Er hat mir in der ersten Nacht ins Gesicht (linkes Auge) geschlagen, mit den Schuhen an den Schienbeinen u. am Hintern gestoßen, ich wurde in dem Raum hin u. hergestoßen wie ein Ball. Es waren 4–5 Personen in Zivil dabei. Er leugnete alles ab.

Dann wurde ich Potzer[?] gegenübergestellt. Beschuldigung: er hat mich von allen am meisten geschlagen hauptsächlich ins Gesicht, er hat mir gemeinsam mit einem anderen Karabinieri Haare am Kopf ausgerissen, er hat mir mit derselben Person u. einer dritten die Arme am Rücken hochgerissen, er hat mir gedroht mich zu einem Krüppel zusammenzuschlagen wenn ich nicht gestehe was er will. Auch er leugnete alles ab. Beide machten zwar einen ängstlichen Eindruck u. gaben zu mich zu kennen da sie mich daheim geholt hatten u. bei den Verhören dabei waren, aber von mißhandeln wussten sie nichts. –

Die Protokolle wurden so verfasst: zuerst meine Anschuldigung, dann die Aussagen des Angeklagten, dann wieder meine (daß seine falsch ist u. meine richtig). Ich habe das deutsche Protokoll unterschrieben u. er das italienische. Bei dieser u. der nächsten Gegenüberstellung war außer dem Präsidenten u. 2 Schreiber auch ein Oberstaatsanwalt anwesend. Auf meine Frage ob ich den anderen Karabinieri auch gegenübergestellt werde, antwortete der Präsident, das sei seine Sache, das ist nicht so einfach da ich sie nicht namentlich angeben konnte. Damals seien 300 Karabiniere in Südtirol gewesen die jetzt auf ganz Italien verteilt sind, er kann sie nicht herzaubern, das ist eine riesige Arbeit, ich muß nur Geduld haben u. s. w. Es sollte überzeugend klingen u. wollte mich damit vertrösten. Das alles war 6 Monate nach Erstattung der Anzeige gegen die Karabinieri. –

Ungefähr eine Woche später hörte ich daß wir sofort wieder nach Trient zurückkommen. Mit mir waren noch 4 Kameraden von Trient u. 3 von Verona nach Bozen gekommen zu den Gegenüberstellungen. Daraufhin meldete ich mich zum Präsidenten u. bat ihn mich den restlichen 3 Karabinieri gegenüberzustellen.

Nun folgte das alte Versl, nur sagte er statt 300 jetzt 1000 Karabinieri.

Ich sagte daß in Meran nur ca. 10 Mann bei dem Schlägertruppe waren unter der Leitung von Hauptmann Marzollo. Dieser muß sie ja alle kennen, außerdem haben die meisten bei den Protokollen unterschrieben. Nun begann der Präsident zu schreien u. zu wettern, ich verstand nur sehr wenig, da die Dolmetscher es nicht übersetzten. Nun mußte ich die Beschreibung der 3 Karabinieri (wo ich den Namen nicht wußte) zu Protokoll geben.

  1. Alter 40 Jahre, kahlköpfig, restliche Haare dunkel, dick, 1,70 m groß.
  2. Alter 40 Jahre, kleines rosiges Gesicht, Haare eher rötlich, schlank, 1,70 m groß.
  3. Alter 35 Jahre, lange schwarze Haare, kräftig gebaut, eher über 1,70 m groß.

Bei dieser Gelegenheit gab ich auch an daß Hauptmann Marzollo mir in Meran Dienstag früh gedroht hatte falls ich nicht gestehe was er will, bringt er mich nach Eppan u. läßt mich auf einem umgelegten Masten aufhängen. Was ich zwar nicht ganz glaubte, fürchtete aber noch mehr u. stärker mißhandelt zu werden. Ein anderesmal drohte er mir den Lunge[?] (Potzer)[?] zu holen wenn ich nicht gestehe. Geschlagen hat er mich nicht, aber gedroht öfters. Er ist mit 2 anderen Karabinieri u. u.[?] mich zu mir heimgefahren Material zu holen. Da haben mich mein Vater u. meine Schwester gesehen wie ich ausschaute. Meine Frau hat mich 2 Tage später in der Kaserne gesehen. –

Ungefähr eine Woche später wurde ich Hauptmann Derosa[?] von Meran gegenübergestellt. Ich wußte zwar nicht warum, da er mir nichts getan hatte. Zwar war er bei etlichen Verhören kurze Zeit anwesend, doch wußte ich nicht mehr ob er gesehen hat wie ich geschlagen wurde. Ich sagte er müsse die 3 Karabinieri doch kennen (gab die Beschreibung). Er sagte er sei nur selten u. kurze Zeit bei den Verhören gewesen, deswegen kenne er sie nicht auch habe er damals viel zuviel zu Denken gehabt. Etwas später auf die Frage des Präsidenten ob in Meran jemand mißhandelt wurde sagte er: er ist bei den Verhören immer dabeigewesen u. hat von all dem nichts gesehen noch gehört. Darauf sagte der Präsident wenn dem so ist dann braucht es keine Gegenüberstellung mehr. Nun wurde ich zornig u. schrie: 2 junge Menschen sind schon gestorben, manche haben nach 9 Monaten noch Merkmale, auch gibt es Zeugen die uns nachher sahen u. trotzdem wird behauptet es ist alles erlogen. Es entstand ein hitziger Wortwechsel. Derosa lächelte immer recht höhnisch. –

Einige Tage später wurde ich Marzollo gegenübergestellt. Mit höhnischem Grinsen leugnete er alles ab, gab zu mich heimgeführt zu haben, aber sonst hätte ich eine ausnahmsweisgute Behandlung erfahren. Auf die Namen seiner damals Untergebenen konnte er sich nicht mehr erinnern. Marzollo u. der Präsident haben einiges über mich u. dem damals Vorgefallenem besprochen, das ich leider das meiste nicht verstand u. übersetzt wurde es mir nicht. –

Am 29. April wurde mir Oberleutnant Manucci[?] von Meran gegenübergestellt. Verwundert fragte ich wieso mit ihm er hat mir nichts getran. Man sagte mir weil er beim Material holen dabei war u. weiß wie das vor sich gegangen ist. Da ich diesbezüglich Meinungsverschiedenheiten mit Marzollo hatte. Er schilderte wie die Fahrt vor sich gegangen ist u. mußte mir auch meistens recht geben. Doch behauptete er sie seien recht großzügig gewesen weil ich mit meinen Angehörigen reden durfte, etliche Schluck Kaffee trinken, Gesicht waschen u. auf den Abort gehen durfte. Das habe ich auch getan, allerdings haben sie mir vorher gedroht falls ich den Angehörigen von den Misshandlungen etwas sage werde ich es nachher schon erleben! Auf die Frage des Präsidenten ob er vom Misshandeln etwas gesehen habe leugnete er mit unschuldiger Miene alles ab, auch kann er sich auf die Karabinieri nicht mehr erinnern die damals in Meran waren. Keiner der 3 Offiziere wollte sich erinnern können, einfach lächerlich! Ich merkt wohl sehr deutlich, daß man die Gegenüberstellung der richtigen unbedingt verhindern wollte. Man hatte wohl Angst, daß sich die Karabinieri verreden könnten. Der Präsident sagte mir einmal was ich mir von alldem erwarte, ob ich glaube daß die Karabinieri so blöd sind u. die Misshandlungen eingestehen. Ich war überrascht, doch bestand ich weiterhin auf die Gegenüberstellungen. Der Präsident zeigte mir eine Liste wo die Namen der Karabinieri darauf waren die damals in Meran waren (plötzlich waren es nur mehr ca. 10). Ich verlangte daß sie mir vorgeführt werden, dann werde ich schon die richtigen finden.

Nun kam einer (Jungnoto?) auf den die Beschreibung N=2 paßte. Er hat mich gemeinsam mit Vignolo (N=1) in der dritten Nacht geschlagen, stundenlang vor der Quarzlampe gestellt u. zweimal machten sie mich mit dem Rücken an der auf den Zehenspitzen 1 ½ Stunden stramm stehen sodaß mir die Füße lahm wurden. Vor mir wurde ein Posten aufgestellt der mich bei der geringsten Bewegung mit dem Gewehr schlug. Er leugnete alles ab, gab aber zu bei den Verhören dabeigewesen zu sein. –

Als nächster kam Vignolo (N 1) Beschuldigung wie oben, drohte mir mich zu Tode prügeln zu lassen, außerdem war er dabei als sie mir die Arme am Rücken hochrissen u. hat oft die Verhöre geführt u. deshalb auch bei anderen Mißhandlungen anwesend. Auch er leugnete wie alle alles ab. Gab zu daß er bei den Verhören war u. sagte daß wohl eine gewöhnliche Lampe zur Beleuchtung im Zimmer hing, von einer Quarzlampe weiß er nichts.-

Der letzte (N 3) der beim Arme hochreißen, Haare ausreißen dabei war u. der mich solange mit Faustschlägen bearbeitete bis ich bewußtlos wurde, wurde mir nicht mehr vorgeführt. Warum? Am nächsten Tag wurde ich abtransportiert.

Es wurde mir etlichemale gesagt, daß ich der Kläger u. die Karabinieri die Angeklagten sind, aber leider kann ich das nicht bestätigen. Die Untersuchungen (Gegenüberstellungen) wurden nämlich so geführt, daß meine Angaben bezweifelt u. darauf herumgeritten wurde u. den Karabinieri gleich alles geglaubt wurde. Man versuchte mich in Widersprüche zu bringen. Es wurde mir auch gedroht, daß auf Verleumdung 2 Jahre Loch stehen. Es waren wohl 2 Dolmetscher da, aber wenn der Präsident tobte (was öfters passierte) dann wurde mir nicht alles übersetzt. Ein Dolmetscher sagte mir, daß meine Haare auch so ausgefallen wären (großer Trost!). Der andere: wenn ich das was ich getan habe, in Österreich oder Deutschland getan hätte, wäre ich sofort erschossen worden!

Ich u. auch die anderen haben gleich gemerkt, daß sie die Gegenüberstellungen unbedingt vermeiden wollten. Es wurden auch nicht alle durchgeführt. Die Karabinieri wurden nicht viel ausgefragt, von einem Kreuzverhör gar keine Spur. Man hat mir auch zu verstehen gegeben was für ein Unterschied zwischen meiner Aussage u. der eines Karabinieri ist, da ich nur ein Häftling bin. –

Am Todestag des Gostner Anton (7. Jänner 62) gab ich zu Protokoll, daß er mir seine Mißhandlungsmerkmale gezeigt hat. Alte Wunde am Bauch wieder aufgebrochen, Verbrennungsmerkmale auf der Stirn u. das Tränen der Augen (durch Quarzlampe).

Mitterhofer Josef

  • [?]unklar