Brief von Sepp Kerschbaumer an den Bezirksobmann der „Südtiroler Volkspartei“ Meran, Dr. Anton Kapfinger, vom 16. Mai 1959.
Kerschbaumer fordert in dem Schreiben den Bezirksobmann zum Rücktritt auf, weil er seiner Meinung nach den „Existenzkampf“ der Südtiroler zu wenig verinnerlicht habe und er darum mehr Schaden als Nutzen bringe.
„Herrn Dr Kapfinger Anton
Bezirksobmann der S.V.P. Meran!
Die „Andreas Hofer“-Feier vom vergangenen Sonntag in Meran gab, was die Feier selbst betrifft den Aufmarsch der Schützenkompagnien und Musikkapellen und das darauffolgenden Volksschauspiel „Andreas Hofer“ ein wirklich festliches und eindruckvolles Gepräge und dies wurde auch von den Teilnehmern gebührend anerkannt. Auch wurde vom Volke mit Freude und allgemeiner Genugtung, das vom Volke schon lange erwartete und erhoffte Ultimatum der beiden Landesbischöfe zur Kenntnis genommen. Auch dieser Umstand hat der Feier ein besonders feierliches Gepräge gegeben.
Trotz all dieser erfreulichen Tatsachen, komme ich nicht umhin, eine Schattenseite dieser Festveranstaltung besonders heraus zu heben.
Es war das Fehlen der Bevölkerung. Ich habe mir alles gut angesehen und mußte zu meinem großen Bedauern bald feststellen, daß das Volk als solches, wenn wir von den Schützenkompagnien und Kurgästen absehen, völlig fehlte. Gemessen an der großen Feier, war es, um es einfach auszudrücken eine Schande. Und wenn anders trifft hierfür die Verantwortung und Schuld zu tragen, als den zuständigen Bezirksobmann? Es wäre Ihre Pflicht gewesen, die Ihnen unterstellten Ortsvertreter damit zu beauftragen, Sorge zu tragen, daß die Bevölkerung wenigstens Ihres Bezirkes regen Anteil an der Feier nehmen sollte. Habe auch in Erfahrung gebracht, daß diesbezüglich überhaupt nichts unternommen wurde. Auch die Bekanntmachungen in der Presse waren in Ihrem Sinne aufgezogen. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß dies alles zumindest in Ihrem Interesse lag, denn auch frühere Vorkommnisse solcher Art bestättigen dies.
Wenn Sie sich der großen Bedeutung dieses Erreignisses wirklich nicht bewußt waren und wenn Sie bis heute noch nicht begriffen haben was eigentlich Volkstumkampf bedeutet, dann kann ich Ihnen nur sagen, daß es höchst an der Zeit ist, daß Sie den Posten als Bezirksobmann aufgeben, ohne der ganze Ihnen unterstellte Bezirk, auf die gleiche Stufe herabsinkt, wie es bei Ihnen der Fall ist. Wenn wir Südtiroler in unserem Existenzkampf nicht weiter voran kommen, dann zu einem guten Teil deshalb, weil wir unter den gewählten Vertretern Menschen haben, die diesen Kampf des Volkes um Freiheit und Recht, nicht begreifen, oder nicht begreifen wollen. Wenn Sie schon nicht mittun wollen, dann ziehen Sie endlich wenigstens die nötigen Konsequenzen.
Frangart, den 16.5.1959 Gezeichnet Sepp Kerschbaumer Frangart“